Trauer ist komplex – und voller Missverständnisse. Viele dieser falschen Vorstellungen erschweren den natürlichen Trauerprozess und machen ihn unnötig schwerer. In diesem Beitrag erfährst du, was hinter den häufigsten Trauermythen steckt – und wie du Trauer besser verstehen kannst. Dieser Beitrag räumt mit 10 der häufigsten Trauermythen auf, damit du Trauer besser verstehen und dich selbst oder andere trauernde Menschen besser unterstützen kannst.
Die 10 größten Mythen über Trauer
Trauermythen-Platz 10: Das erste Jahr ist immer das schlimmste
Manche Menschen empfinden tatsächlich das erste Jahr der Trauer als das schwerste. Andere berichten, dass die Trauer-Gefühle im zweiten oder späteren Jahr intensiver waren und auch sehr viel später können wir Phasen mit sehr starken Trauergefühlen erleben. Welche Zeiten wir als besonders schlimm erleben ist individuell verschieden und hängt von ganz viele Faktoren ab. Trauer ist unberechenbar und wir können erst im Nachhinein sagen welche Zeiten für uns besonders herausfordernd waren. Oft soll diese Aussage trösten oder Hoffnung zu machen, dass es besser werden wird und suggeriert, dass die Zeit nach dem „schweren“ Teil leichter zu ertragen wäre.
Tatsächlich verändert sich Trauer über die Zeit genauso wie wir selbst indem wir Stück für Stück lernen mit unserem Verlust zu leben. So gibt es auf unserem Weg natürlich Zeiten in denen alles schwer und schmerzhaft ist aber auch solche, in denen uns die Trauer leichter erscheint und es uns gut geht. Mal sind das nur wenige Augenblicke, mal längere Zeiträume.
Trauermythen-Platz 9: Trauer verläuft in festen Phasen
Vielleicht hast du schon einmal von den 5 Phasen der Trauer gehört: Verleugnung, Wut, Verhandeln, Depression und Akzeptanz. Diese Phasen waren ursprünglich nicht für den Trauerprozess gedacht, sondern für Personen, die dem Tod gegenüberstehen. Das erste Phasenmodell stammt von Elisabeth Kübler-Ross. Sie hat Menschen, die mit dem Tod konfrontiert waren, befragt und aus deren Umgang mit ihrer Situation fünf Stadien herausgearbeitet.
Mittlerweile gibt es verschiedene Phasenmodelle, die ihre Berechtigung haben weil sie wesentliche inhaltliche Aspekte der Trauer erklären, aber Trauernden gleichzeitig auch suggerieren können, dass es einen linearen Verlauf (also nach Phase 1 kommt immer Phase 2 etc.) und einen Endpunkt der Trauer gibt. Tatsächlich folgt Trauer keiner geordneten To-Do Liste sondern bewegt sich immer wieder zwischen einzelnen Aspekten. Phasenmodelle können dazu führen dazu, dass wir unsere eigene Trauer mit diesen Phasen vergleichen und wenn sie nicht dem Muster folgt, uns selbst uns unsere Art zu trauern in Frage stellen. Jeder Mensch trauert anders, und es gibt keinen richtigen oder falschen Weg zu trauern. Wenn du dazu mehr lesen möchtet, schau dir gerne meinen Beitrag zum Thema Trauerphasen an.
Trauermythen-Platz 8: Nur wer weint, trauert wirklich
Weinen ist eine normale Reaktion auf Traurigkeit, aber es ist nicht die einzige. Diejenigen, die nicht (öffentlich) weinen, empfinden den Schmerz vielleicht genauso tief wie andere, aber sie haben vielleicht andere Möglichkeiten, ihn zu zeigen – vor allem, wenn Weinen für sie eine ungewohnte Art ist, ihre Gefühle zu zeigen, oder wenn sie es als unangemessen empfinden, z.B. aufgrund ihrer gesellschaftlichen/ kulturellen Prägung.
Neben Zeiten in denen wir unsere Emotionen spüren, gibt es aber auch solche in denen wir emotional taub sein können und unser Leben so weiterleben als wäre nichts passiert oder einfach mechanisch das tun was von uns erwartet wird. Das ist z.B. in einem akuten Schockzustand der Fall und ist eine Schutzreaktion und gehört zur den natürlichen Tauerreaktionen. Ob jemand viel, wenig oder gar nicht weint, hat nichts damit zu tun, wie sehr sie/er trauert.
Trauermythen-Platz 7: Vom Schmerz weg ist besser als hinein
Es klingt banal aber viele Trauernde geben sich selbst nicht die Erlaubnis zu trauern und erhalten auch keine Erlaubnis von Anderen. Wir leben in einer Gesellschaft, die Menschen dazu ermutigt, sich vorschnell von ihrer Trauer zu entfernen, anstatt sich ihr zuzuwenden. Viele betrachten Trauer als etwas, das überwunden anstatt erlebt werden muss und haben verinnerlicht, die eigene Trauer leise, schnell und effizient zu bewältigen.
Das wiederum führt zu Verdrängung von Gedanken und Gefühlen oder emotionaler Isolation. Der normale Schmerz der Trauer ist gesellschaftlich kaum oder gar nicht anerkannt, daher halten die Trauende ihre Gedanken und Gefühle oft für abnormal. Die unausgesprochene Botschaft lautet: „Reiß dich zusammen und mach mit deinem Leben weiter“. Dauerhafte Verdrängung kann allerdings zu mehr Schmerz, Ängsten, Unruhe oder sogar Krankheiten führen. Indem wir unsere Trauer ins Leben integrieren und uns auf sie zu bewegen anstelle von ihr weg, können wir heilsame Trauerarbeit leisten. Hier findest du übrigens einen ganzen Artikel zum Thema Verdrängung.
Trauermythen-Platz 6: Weiterleben heißt loslassen
Das Leben weiterzuleben bedeutet, dass du die Tatsache, dass du einen schweren Verlust erlebt hast anerkennst und als deine neue Realität akzeptierst. Und das ist nicht dasselbe wie Vergessen. Du kannst dein Leben weiterleben UND die Erinnerung an die verstorbene Person als einen wichtigen Teil von dir behalten. Im Laufe des Lebens können diese Erinnerungen sogar immer mehr dazu beitragen, die eigene Persönlichkeit zu definieren.
Die Trauerberaterin Lois Tonkin nennt diesen Prozess „um die Trauer herum wachsen“. Als Sinnbild für diese Anpassung an dein Leben mit Verlust dafür kannst du dir ein Spiegelei vorstellen, bei dem das Eigelb deine Trauer darstellt und das Eiweiß um das Eigelb herum „wächst“. Du wirst neue Erfahrungen machen, neue Menschen kennen lernen und neue Momente der Freude finden. Vielleicht werden diese Momente nach und nach häufiger und dein Umfeld wird ein wenig größer. Das bedeutet aber nicht, dass dein Kummer verschwindet. In schwierigen Zeiten kann er sogar zunehmen. Aber, auch wenn du dir das aktuell nicht vorstellen kannst – die Trauer wird nicht länger alles beherrschen, während du und dein Leben um sie herum wachsen.
Trauermythen-Platz 5: Nach einem Verlust muss man stark sein
Nach einem Verlust fühlen sich viele Menschen unter Druck gesetzt, „stark zu bleiben“. Oft geschieht das unbewusst – weil sie niemanden zusätzlich belasten wollen, weil sie glauben, dass Tränen andere verunsichern könnten oder weil sie es so gelernt haben. Aussagen wie „Du musst stark sein“ oder „Kopf hoch“ sind tief in unserer Kultur verankert, vermitteln aber ein falsches Bild davon, was Stärke in der Trauer wirklich bedeutet.
Echte Stärke hat nichts damit zu tun, keine Gefühle zu zeigen. Sie zeigt sich vielmehr darin, den eigenen Schmerz anzuerkennen und sich zu erlauben, verletzlich zu sein. Weinen bedeutet nicht, dass man schwach ist – es ist die natürliche Sprache des Körpers, wenn Worte nicht ausreichen. Beim Weinen werden Stresshormone reduziert und Glückshormone ausgeschüttet – ein biologischer Prozess, der heilsam wirken kann.
Wenn du deine wahren Gefühle zulässt, ist das nicht nur wichtig für dich, sondern auch für dein Umfeld. Es hilft anderen, dich besser zu verstehen und schafft ehrliche Verbindung statt Distanz. Du musst niemanden „schützen“, indem du eine Fassade aufrechterhältst. Trauer darf sichtbar sein – und das ist eine Form von Stärke, die Mut erfordert.
Trauermythen-Platz 4: Trauer ist nur Traurigkeit
Viele Menschen glauben, dass Trauer ausschließlich aus Traurigkeit besteht oder eine ausschließlich emotionale Erfahrung ist. Dieser Mythos ist weit verbreitet und viele sind überrascht, wie vielfältig Trauer nach einem Verlust tatsächlich ist. In Wirklichkeit wirkt sich die Trauer auf zahlreiche Dimensionen unseres Lebens aus: körperlich, psychisch, spirituell, zwischenmenschlich und verhaltensmäßig. Emotional kann sich Trauer in einer Vielzahl an unangenehm erlebten Gefühlen wie Sehnsucht, Wut oder Schuldgefühlen aber auch in positiv wahrgenommenen Gefühlen wie Freude, Lebendigkeit und Erleichterung zeigen.
Trauermythen-Platz 3: Familie/ Freund*innen wissen schon, was ich in der Trauer brauche
Menschen sind oft verunsichert, was sie zu Trauernden in ihrem Umfeld sagen sollen oder wie sie helfen können. Manche werden dir sich vielleicht regelmäßig bei dir melden, dich besuchen, Angebote machen oder dich fragen was du brauchst. Andere melden sich vielleicht weniger oder gar nicht aus Angst etwas falsches zu machen oder zu sagen. Für alle, die dich unterstützen möchten kann es hilfreich sein, zu wissen was du brauchst.
Allerdings fällt uns genau das in der Trauer oft sehr schwer, weil wir uns in dieser Situation selbst nicht mehr Wiedererkennen, vielleicht ohnehin kaum Energie haben und eigentlich gar nicht genau wissen, was wir brauchen. Da helfen oftmals Babysteps – du kannst dich fragen, was brauche ich gerade jetzt? Gibt es praktische Aufgaben, um die ich jemanden bitten könnte (z.B. Lebensmittel einkaufen, Kinder abholen)?
In der Trauer lernen wir uns und unser Leben mit Verlust neu kennen, das braucht Zeit. Du kannst auch Erkenntnisse, die du nach und nach über dich sammelst (z.B. ‚Am besten hilft es mir, wenn Andere mir einfach nur zuhören.‘ ‚Ich wünsche mir, dass ich eingeladen werde‘‚ oder ‚Ich mag es wenn mir jemand von Erinnerungen mit X/Y erzählt’) notieren und guten FreundInnen erzählen. Das kann helfen, dich etwas sortierter und weniger ausgeliefert zu fühlen.
So schön es wäre, wenn andere einfach erraten könnten was wir brauchen – die aktive Kommunikation über unsere Wünsche und Bedürfnisse ist wichtig und hilft anderen dabei dich besser zu unterstützen.
Trauermythen-Platz 2: Ziel ist, über Trauer hinwegzukommen
Die Vorstellung, dass wir als Menschen über Trauer „hinwegkommen“, ist total weit verbreitet aber ehrlich sagt ziemlicher Bullshit! Sie suggeriert, dass es einen Endpunkt der Trauer und eine Rückkehr zur „Normalität“ gibt. Tatsächlich verändert unsere Trauererfahrung uns für immer und wir integrieren bei einem gesunden Trauerverlauf unseren Verlust und unsere Trauer nach und nach in unser Leben.
Die Annahme, dass man sich von Trauer ‚lösen‘ muss und dass das Leben dann genau so sein wird wie vor dem Tod, ist total unrealistisch und nicht hilfreich. Denn Trauer hat keinen zeitlichen Rahmen, aber sie verändert sich. Manche empfinden akute Trauer nur für kurze Zeit, während andere lange oder immer damit zu kämpfen haben. Die Intensität der Trauer kann sich auch um Feiertage, Jahrestage und stressige Lebensereignisse herum ändern. Auch wenn die Trauer oft mit der Zeit nachlässt, haben bedeutende Verluste dauerhafte Auswirkungen.
In der Trauer lernen wir, unsere neue Realität eines Lebens ohne die physische Anwesenheit der verstorbenen Person, zu integrieren, manchmal mit der Unterstützung aus dem eigenen Umfeld und manchmal mit professioneller Hilfe von TrauerbegleiterInnen und TherapeutInnen.
Das kann uns neue Energie und Zuversicht ins Leben geben und wir erleben, dass die Versöhnung mit der Trauer ein Erfahrungsprozess und kein isoliertes Ereignis ist. Unsere Trauer verschwindet nicht, aber sie wird weicher, und der Schmerz wird irgendwann weniger bedrohlich. Man kommt also nicht ‚drüber weg‘, man ‚kommt damit klar‘.
Trauermythen-Platz 1: Trauer dauert ein Jahr
Einfach gesagt, gibt es keine zeitliche Begrenzung für Trauer (schau dir dazu gerne auch meinen Artikel zur Dauer von Trauer an). Natürlich wissen wir grundsätzlich gerne was uns erwartet und das ist in der Trauer nicht anders. Zudem haben wir manchmal die Befürchtung, dass unsere schmerzhaften, überfordernden Gefühle niemals enden werden und erhoffen uns von einem Zeitrahmen eine Art Lichtblick. Ein (unausgesprochener) Zeitrahmen kann aber auch Druck bei Trauernden verursachen und ein Gefühl ‚unnormal‘ zu trauern, wenn die starke Belastung über einen bestimmten Zeitrahmen hinaus anhält. Gesellschaftlich wird uns meist eine viel zu kurze Zeit für unsere Trauer zugestanden. Viel zu oft erwartet unser Umfeld, dass wir möglichst schnell wieder funktionieren.
Trauern ist aber eine einzigartige Erfahrung, die bei keinem Menschen gleich ist und von vielen verschiedenen Faktoren abhängt, wie die Art/ Umstände unseres Verlustes, die Beziehung zur/m Verstorbenen, unser Support System, Bewältigungsmechanismen, Lebensumstände, frühere Erfahrungen, Gesundheitszustand etc. Sie ist nicht vorhersagbar, weder in Verlauf noch Länge der intensive Gefühle und dauert eben so lange wie sie dauert.
Akute Trauerreaktionen können auch deutlich länger andauern als ein Jahr. Nach einem schweren Verlust wie z. B. des Kindes, Ehepartners oder besonders traumatischen Umständen noch viele Jahre, Jahrzehnte oder ein ganzes Leben lang. Das heißt aber nicht, dass Trauergefühle immer gleich in der Art, Intensität, Häufigkeit und Dauer sind, sondern sie verändern sich während sie ein Bestandteil des eigenen Lebens werden.
Häufige Fragen rund um Trauer und Trauermythen
💭 Wie lange dauert Trauer wirklich?
Die Dauer von Trauer ist individuell und hängt von vielen Faktoren ab – zum Beispiel von der Beziehung zur verstorbenen Person, den Umständen des Todes und dem eigenen Lebensumfeld. Es gibt keine „richtige“ Zeitspanne. Für manche Menschen verändert sich die Trauer nach einigen Monaten spürbar, für andere bleibt sie über Jahre ein Teil des Lebens. Wichtig ist, dass Trauer sich wandelt – sie bleibt, aber sie wird mit der Zeit weicher und weniger überwältigend. 💫
🤝 Wie kann ich als Freundin oder Angehöriger Trauernde unterstützen?
Das Wichtigste ist: Präsenz. Du musst nichts „Richtiges“ sagen oder tun – einfach da sein, zuhören und aushalten reicht oft schon. Frage konkret, wie du helfen kannst („Soll ich dich besuchen?“ „Kann ich etwas einkaufen?“). Auch lange nach dem Verlust darfst du nachfragen und zeigen, dass du an die verstorbene Person denkst. Das wird selten als störend, sondern meist als tröstlich empfunden. 💌
🌫️ Was ist „aberkannte Trauer“?
Von aberkannter Trauer spricht man, wenn ein Verlust gesellschaftlich nicht anerkannt oder ausreichend gesehen wird. Das betrifft z. B. trauernde Geschwister, geschiedene Partnerinnen, Freundinnen, Kolleg*innen, Trauer um ein Tier, Trauer um ein Sternenkind etc.. Ihre Trauer wird oft übersehen oder abgewertet, was zu Einsamkeit und Scham führen kann. Auch sie haben das volle Recht zu trauern und Unterstützung zu bekommen. 🌷
🪞 Wie erkenne ich, ob meine Trauer „normal“ ist?
Trauer zeigt sich sehr unterschiedlich – in Gefühlen, Körperreaktionen und im Verhalten. Sie ist selten „geordnet“. Wenn du das Gefühl hast, dauerhaft festzustecken, dich zurückziehst oder deine Lebensfreude nicht mehr findest, kann professionelle Unterstützung (z. B. Trauerbegleitung oder Therapie) hilfreich sein. Das bedeutet nicht, dass du „falsch“ trauerst – sondern dass du dir Hilfe erlaubst. ❤️
Wenn du gerade selbst trauerst und Unterstützung suchst, findest du hier Informationen zu meiner Arbeit mit Trauernden.
Kennst du andere Trauermythen? Schreib sie gerne in die Kommentare.