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Trauer von erwachsenen Geschwistern: Warum sie oft übersehen wird

Und passen Sie jetzt gut auf Ihre Mutter auf

Das sagte die Bestatterin zu mir nachdem wir uns nach dem letzten Gespräch verabschiedet hatten. Mein Bruder war tot, eingeäschert und begraben. Meine Eltern hatten ihren Sohn verloren und ich meinen einzigen Bruder. Mein Kopf hat genickt aber innerlich war ich überfordert und irritiert von dieser Aussage. Ich war doch selbst ein totales Wrack, wie sollte ich das schaffen, die Verantwortung für meine Mutter zu übernehmen? Denn auch wenn es von außen vielleicht nicht den Anschein machte ist auch meine Welt zusammengebrochen. Wo hatte mein Schmerz seinen Platz? Gleich zu Beginn meiner Trauer habe ich spüren können, worunter so viele (besonders erwachsene) trauernde Geschwister leiden: ihre Trauer wird oft unterstützt.

Warum Trauer von erwachsenen Geschwistern oft unsichtbar bleibt

Meist konzentriert sich nach einem Verlust alles auf die Eltern/ Partner*innen und es gibt wenig Bewusstsein darüber, dass auch trauernde Geschwister einen schweren Trauerprozess durchlaufen. In der Fachliteratur spricht man dabei von ‚aberkannter Trauer‘. Über die Trauer von erwachsenen Geschwistern ist außerdem wenig bekannt und noch weniger wird darüber gesprochen. Während für viele Teilbereiche zum Thema Trauer mittlerweile eine gute Basis an Angeboten, Büchern, Artikeln und Initiativen existiert, gibt es für Trauer von erwachsenen Geschwistern gerade mal eine Handvoll Bücher und Angebote.

Ich zeige dir in diesem Beitrag welche Aspekte die Trauer erwachsener Geschwister einzigartig machen und mit welchen Herausforderungen verwaiste Geschwister konfrontiert sind (aus meiner eigenen Erfahrung und dem was ich von meinen Klient*innen gelernt habe). Wenn du deine Schwester/ deinen Bruder verloren hast, möchte ich dir mit diesem Beitrag sagen, dass du gesehen wirst. Du bist nicht allein und dein Verlust ist wichtig! Vielleicht findest du dich in einigen Punkten wieder. Natürlich ist alles, was mit Trauer zu tun hat, unglaublich persönlich und trifft nicht auf jede*n zu. Es gibt keine richtige oder falsche Art zu trauern.

Heute weiß ich, dass das was ich damals erlebt habe ganz typisch ist für verwaiste Geschwister: 

Sie werden in die Kümmer-Rolle gedrängt

Trauernde erwachsene Geschwister bekommen von ihrem Umfeld bewusst oder unbewusst den Auftrag, sich um Organisatorisches zu kümmern oder die Fürsorge für Familienmitglieder zu übernehmen. Und sie erleben auch deutlich mehr Druck, die Trauer möglichst schnell zu verarbeiten und wieder zu funktionieren. Vielleicht kennst du auch diesen Druck, dass die Trauer irgendwann vorbei sein muss. In meinem Artikel Wie lange dauert Trauer? erkläre ich, warum es keine feste Zeit für Trauer gibt – und warum das völlig in Ordnung ist.

Trauernde Geschwister werden auch viel häufiger gefragt, wie die Eltern bzw. Partner*in des Geschwisters mit dem Verlust zurechtkommen, als umgekehrt. Dadurch werden die Gefühle der trauernden Geschwister kaum wahrgenommen und vielleicht sogar entkräftet.

Trauernde Geschwister stehen oft in zweiter Reihe

Sie werden häufig (nach den Eltern, Partner*innen) in der zweiten Reihe gesehen und weniger als aktiv Trauernde. Das kann sehr einsam, traurig und wütend machen, da es scheint, dass niemand ihren Schmerz sehen kann. Und es kann der Eindruck entstehen, dass die Trauer von Geschwistern irgendwie weniger schlimm sein muss als die der anderen, „näheren“ Angehörigen. So als gäbe es nur eine begrenzte Menge an Trauer, die erst mal an Eltern und Partner*innen verteilt wird und dann für die Geschwister und Andere kaum was übrig bleibt – natürlich totaler Bullshit. 

Trauernde Geschwister sind oft verunsichert über ihr Recht zu trauern

Viele fragen sich, ob sie überhaupt das Recht darauf haben, um ihren Bruder oder ihre Schwester zu trauern und merken gar nicht, dass Ihnen eine Rolle übergestülpt wurde. Dabei haben sie absolut das gleiche Recht zu trauern, wie Eltern und Partner*innen. (Das trifft natürlich auch auf Großeltern, Tanten, Onkel, FreundInnen und alle anderen zu, die die/den Verstorbenen geliebt haben.)

Warum der Tod eines Geschwisters so schmerzt

Trauernde Geschwister verlieren eine der wichtigsten Konstanten im Leben. Mit dem Tod von Schwester/ Bruder verlieren Geschwister ihren Spiegel im Leben, in manchen Fällen ihren Anker oder engste Bezugsperson und den Menschen, von dem sie angenommen haben, dass er immer irgendwie da sein wird. Geschwister kennen oft jede Version von uns. Sie kennen die gesamte Lebensgeschichte und die Umstände unter denen wir aufgewachsen sind. Sie können unsere größten Rivalen und engsten Verbündeten sein.

Ein Band, das nie zerreißt – und deshalb so sehr fehlt

Manchmal reichte schon ein Blick um einander verstehen zu können. Aber auch wenn die Beziehung konfliktreich war oder es wenig Kontakt gab, viele spüren trotzdem eine Verbindung durch das gemeinsam Erlebte wie ein unsichtbares Band. Trauernde Geschwister haben einen Menschen verloren, der sie auf der tiefsten Ebene kennt und das kann ein riesiges Loch im Leben hinterlassen. Dieses Loch macht sich auch in der Familie bemerkbar. Die Abwesenheit des Geschwisters wird vielleicht für immer spürbar bleiben. 

Veränderungen im Familiengefüge

Einschneidende Verlusterfahrung betreffen alle Lebensbereiche und können starke Auswirkungen auf die Beziehungen innerhalb der Familie haben. Konflikte, die bislang unter der Oberfläche gebrodelt haben, können offen zutage treten. Durch unterschiedliche Reaktionen und Bewältigungsmuster der einzelnen Familienmitglieder können neue Konflikte entstehen, so dass sich dieBeziehung zu den eigenen Eltern oder anderen lebenden Geschwistern nach dem Verlust schwieriger gestalten kann. Es können sich aber auch im Gegenteil, Beziehungen intensivieren.

Wie Trauer in Familien gelebt (oder vermieden) wird

Neben der Frage wie alle individuell mit ihrer Trauer umgehen, kommt es vor allem auch darauf an wie Trauer in der Familie gelebt wird. Wird offen über den Verlust gesprochen, gibt es Bemühungen dem/der Verstorbenen aktiv einen neuen, guten Platz in der Familie zu geben, wird die Erinnerung gepflegt oder beschränken sich die Erinnerungen auf eigene Gedanken und werden nicht anderen mitgeteilt?

Schweigen aus Angst Schmerz zu verursachen

Manche trauernden Geschwister befürchten, dass ihre Eltern es nicht ertragen können, den Namen des Geschwisterkindes zu hören. Gerade wenn Eltern nicht mit ihnen über ihre Trauer sprechen (können). Die bloße Erwähnung des Namens könnte vielleicht zu viel Schmerz verursachen. Teilweise wird dann gar nicht mehr über die/den Verstorbenen gesprochen wenn die Familie zusammenkommt. Manchmal bekommen trauernde Geschwister so das Gefühl, ihre gemeinsamen Geschichten verloren zu haben.

Der Wunsch nach gemeinsamen Erinnerungen

Manche Trauernde wünschen sich mehr Platz für Erinnerungen, für gemeinsame Rituale, für „Weißt du noch….“-Geschichten, in denen gemeinsam, vielleicht begleitet von einem Lach-weinen, an das gestorbene Familienmitglied gedacht werden kann.

Neue Rollen nach dem Verlust eines Geschwisters

Lebende Geschwister werden durch den Tod einer Schwester/ eines Bruders in neue Rollen hineinkatapultiert. So sind manche plötzlich Einzelkind und tragen die Verantwortung für die Eltern allein. Wenn sie durch den Tod des Geschwisters das einzige lebende Kind der alternden Eltern sind, kann dies bedeuten, dass sie die schwierigen Entscheidungen in Bezug auf die Pflege im späteren Leben allein treffen müssen, anstatt die Verantwortung teilen zu können. Mit diesem Gedanken sind manche trauernden Geschwister überfordert und fühlen sich allein gelassen. Andere sehen sich vielleicht (unfreiwillig) in der Rolle, die das verstorbene Geschwister übernommen hatte und wiederum Andere haben das Gefühl sie haben neben dem toten Bruder/ der toten Schwester gar keinen richtigen Platz mehr in der Familie.

Der Verlust eines Geschwisterteils verändert die Identität

Die Frage ‚Hast du Geschwister?‘ bereitete vielen trauernden Geschwistern Kopfzerbrechen. Sollten sie erwähnen, dass sie ihren Bruder/ihre Schwester verloren haben? Sind sie überhaupt noch eine Schwester/ ein Bruder sind wenn sie keine lebenden Geschwister mehr haben? Oft lässt sich keine richtige Antwort darauf finden. Irgendwie bleibt man immer eine Schwester/ ein Bruder aber die gemeinsamen Erinnerungen, die lebenslange Verbindung existiert nur noch in der Vergangenheit.

‚Mit dem Tod einer Schwester stirbt auch immer ein Stück von einem selbst’

so hat eine Klientin es mal treffend beschrieben. Stirbt ein Geschwister wird die Beziehung zu diesem oft sehr intensiv reflektiert, manchmal zum ersten Mal überhaupt. Und oft fallen dabei besonders die eigenen Fehler auf und die Differenzen, die nun nicht mehr beiseite gelegt werden konnten.

Schuldgefühle und ambivalente Gefühle bei trauernden erwachsenen Geschwistern

Trauernde Geschwister haben häufig ausgeprägte Schuldgefühle. Vielleicht fühlen sie sich direkt oder indirekt mitschuldig am Tod (insbesondere bei Suizid) oder sie bedauern zutiefst was sie vielleicht gesagt oder getan haben oder versäumt haben zu tun.Und manchmal verstehen sich Geschwister einfach nicht, Persönlichkeiten oder Weltanschauungen können kollidieren und ihre Beziehung ist entweder angespannt oder gar nicht vorhanden. Dies kann zu ambivalenten Gefühlen führen, wenn die Schwester/ der Bruder stirbt. Und in manchen Fällen spüren Menschen trotz der Traurigkeit auch Erleichterung, wenn die/ der Verstorbene einen langen Leidensweg hinter sich hatte oder die Beziehung durch andere Umstände, wie z.B. Drogensucht extrem belastend war. Auch das kann zusätzlich Schuldgefühle verursachen.

Wie erwachsene Geschwister mit ihrer Trauer umgehen können

Ich habe lange gebraucht, das alles zu verstehen und auch, dass ich die Rolle(n) die mir zugeschrieben werden nicht annehmen muss, dass ich mich und meine Trauer Anderen zumuten darf und dass ich mich in keiner Weise dafür schuldig fühlen muss. Wenn du selbst eine Schwester/ einen Bruder verloren hast – erlaube dir zu trauern, lass’ dein Umfeld wissen, wie es dir geht und was du brauchst und suche dir zusätzliche Hilfe, wenn du das Gefühl hast, das ist das richtige. Und vor allem, sei geduldig mit dir selbst und nimm dir die Zeit die du brauchst.

Und wenn du in deinem Umfeld jemand kennst, die/der einen Bruder oder eine Schwester verloren hat, trau dich ein paar Worte der Anerkennung zu sagen (z.B. ‚das muss so schwer für dich sein’), oder nachzufragen wie es der/demjenigen mit dem Verlust geht, auch lange Zeit nach dem Tod. Das bedeutet Betroffenen unglaublich viel.


Häufige Fragen zum Thema Geschwistertrauer

🕊️ Wie zeigt sich die Trauer von erwachsenen Geschwistern?
Oft leiser, nach innen gerichtet und schwer zu erkennen. Viele trauernde Geschwister funktionieren nach außen weiter, übernehmen Verantwortung in der Familie oder im Beruf – und haben gleichzeitig das Gefühl, innerlich still zu zerbrechen. Ihre Trauer drückt sich häufig in Erschöpfung, Überforderung oder dem Bedürfnis nach Rückzug aus. Auch körperliche Symptome sind keine Seltenheit.


💔 Warum wird die Trauer von Geschwistern so oft übersehen?
Gesellschaftlich stehen meist Eltern oder Partner*innen im Mittelpunkt des Mitgefühls. Geschwister werden eher in die unterstützende Rolle gedrängt – sie sollen „stark sein“ oder sich um andere kümmern. Dadurch entsteht das Gefühl, dass ihre Trauer weniger Bedeutung hat. Diese fehlende Anerkennung kann den Schmerz noch verstärken und zu Einsamkeit führen.


💡 Wie kann ich als trauerndes Geschwister mit Schuldgefühlen umgehen?
Schuldgefühle sind ein häufiger Begleiter von Geschwistertrauer – egal, ob sie aus unausgesprochenen Konflikten, unerledigten Dingen, „was wäre wenn“-Gedanken oder Ohnmacht entstehen. Wichtig ist, diese Gefühle ernst zu nehmen, aber nicht als Wahrheit zu sehen. Schuld ist oft ein Ausdruck von Liebe und Sehnsucht. Gespräche mit Trauerbegleiter*innen oder Selbsthilfegruppen können helfen, sie zu entlasten und in Mitgefühl zu verwandeln.


🤍 Wie kann ich trauernde Geschwister im Umfeld unterstützen?
Indem du ihnen Anerkennung schenkst. Du kannst z.B. sagen: „Das muss sehr schwer sein für dich“ oder „Erzähl mir gern von deiner Schwester/deinem Bruder, wenn du möchtest.“ Das schafft Raum, gesehen zu werden. Auch kleine Gesten, eine Nachricht, eine Umarmung, eine Erinnerung teilen, können viel bewirken. Oft geht es nicht um Trost, sondern darum, nicht vergessen zu werden.


Wenn du als trauernde erwachsene Schwester oder Bruder Unterstützung möchtest

Heute gebe ich in meiner Arbeit u.a. trauernden Geschwistern Raum und Zeit für ihre Trauer und für die vielen aufbrechenden Fragen, die sich mit dem Verlust ergeben und unterstütze sie darin, wieder ihre eigene Stimme zu hören. Und gemeinsam lassen wir diese Stimme LAUT werden. Wenn du das auch möchtest, schreib mir gerne oder lass uns kennenlernen.

Hast du ähnliche oder andere Erfahrungen gemacht? Ich würde mich sehr freuen, wenn du mir in den Kommentaren davon berichtest.

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