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Trauerphasen helfen dir nicht! – Warum echte Trauer nicht in 5 Phasen verläuft

Nach dem Verlust eines geliebten Menschen fühlen sich viele Menschen verloren in einer Realität, in der sie nie sein wollten. Auf der Suche nach Orientierung lesen oder hören Trauende früher oder später von Trauerphasenmodellen, in der Hoffnung den eigenen heftigen Schmerz und ihr Gefühlschaos besser verstehen und verarbeiten zu können. In diesem Artikel erkläre ich, warum die bekannten Trauerphasen-Modelle (wie die 5 Phasen nach Kübler-Ross) vielen Trauernden eher schaden als helfen – und wie du Trauer stattdessen wirklich verstehen kannst.

Was sind Trauerphasen-Modelle?

Trauerphasen-Modelle beschreiben emotionale und psychologische Stadien, die Menschen nach einem Verlust durchlaufen, um diesen zu verarbeiten. Das älteste und bekannteste Modell stammt von Elisabeth Kübler-Ross und umfasst fünf Phasen: Schock/Verneinung, Wut, Verhandlung, Depression und Akzeptanz. Es gibt noch viele weitere Modelle, die einem ähnlichen Prinzip folgen und den Trauerprozess in Phasen, Stufen oder Aufgaben strukturieren (z.B. nach Verena Kast oder William Worden)

Ich habe damals Google heiß-laufen lassen auf der Suche nach Antworten. Ich wollte wissen, ob das alles normal ist was ich erlebe, was ich erwarten kann, wann es mir vielleicht besser gehen würde. Ich habe viele Internetseiten nach den Beschreibungen der einzelnen Phasen durchforstet um noch mehr Infos über die einzelnen Phasen zu bekommen und besser einschätzen zu können in welcher Phase ich mich jetzt gerade befinde. 

Bis ich irgendwann gemerkt habe, dass das nicht funktioniert und die Trauerphasen auf mich nicht wirklich zutreffen. Mein Trauerverlauf war ganz anders als die schön geordneten Phasen, nämlich chaotisch, durchmischt, gleichzeitig und unberechenbar. Ich habe mich dann gefragt, was bei mir wohl anders ist und ob ich etwas falsch mache. 

Heute weiß ich: Trauerphasen haben nichts mit der Realität der Trauer zu tun

Trauerphasenmodelle sind theoretische Konzepte, die versuchen, die Komplexität der Trauer zu beschreiben und strukturieren aber wenig mit der Realität gemeinsam haben. Für Trauende ist es selten hilfreich und teilweise sogar schädlich sich an Phasenmodellen zu orientieren. Warum das so ist und welche Gedanken stattdessen hilfreich sind zeige ich dir in diesem Beitrag.

Warum klassische Trauerphasen veraltet sind

Trotz ihrer weit verbreiteten Nutzung und dem noch immer tief verwurzelten Glauben an sie sind viele der klassischen Phasenmodelle mittlerweile ziemlich veraltet. Die Trauerforschung hat gezeigt, dass Trauer ein vielschichtiger Prozess ist – individuell und oft chaotisch. Anstatt linear abzulaufen oder in festgelegte Kategorien gepresst zu werden, kann sie sich in Wellen zeigen oder plötzlich auftreten. 

Es gibt keine wissenschaftlichen Belege für Trauerphasen

Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass es keinen universellen Phasenverlauf in der Trauer gibt. Der Trauerforscher George A. Bonanno hat herausgefunden, dass viele Menschen nach einem Verlust nicht in definierte Phasen eintreten; stattdessen zeigen sie unterschiedliche Reaktionen basierend auf ihrer individuellen Situation. Auch Stroebe und Schut haben in ihrer Forschung zur Trauer und zum Trauerprozess mehrere kritische Punkte gegenüber den klassischen Trauerphasenmodellen formuliert und plädieren für ein flexibleres Verständnis von Trauer, das die Vielfalt menschlicher Erfahrungen anerkennt und Raum für individuelle Bewältigungsmechanismen lässt.

Wie Trauerphasen-Modelle falsche Erwartungen schaffen

Die Orientierung an Phasenmodellen kann falsche Erwartungen an den Trauerverlauf wecken. Wenn du denkst: „Jetzt bin ich in der Wut-Phase“ oder „Ich sollte bald zur Akzeptanz kommen“, setzt du dich selbst unter Druck. Das kann dazu führen, dass du an dir zweifelst oder dich frustriert fühlst – besonders wenn du merkst, dass du nicht wie erwartet vorankommst. Das liegt daran, dass die Phasenmodelle den komplexen und oft chaotischen Charakter von Trauer zu stark vereinfachen und auch individuelle Unterschiede im Trauerverlauf zu wenig berücksichtigen.

Warum du dich nicht an ein Modell anpassen musst

Trauer ist ein individueller Prozess, der nicht in festgelegte Phasen gepresst werden kann. Außerdem suggerieren sie einen linearen Verlauf der Trauer, während Emotionen sich normalerweise überlappen oder in Wellen auftreten, was in den klassischen Modellen nicht ausreichend berücksichtigt wird. Mehr darüber, was dir wirklich helfen kann, findest du in meinem Artikel über 12 Dinge, die dir niemand über Trauer sagt.

Warum Trauer keinen Abschluss braucht

Viele Phasenmodelle gehen implizit davon aus, dass es einen Abschluss der Trauer gibt – einen Punkt an dem man „fertig“ ist mit dem Prozess. In der Realität ist Trauer ein fortwährender Prozess ist, und nicht ein isoliertes Ereignis, dass an einem bestimmten Punkt überwunden ist. Der Verlust bleibt immer Teil deines Lebens; du lernst im Laufe der Zeit wie du mit ihr umgehen und dein Leben neu gestalten kannst.

Wenn Trauerphasen mehr schaden als helfen

Auf der anderen Seite laufen normale Trauerreaktionen Gefahr, als bedenklich oder krank eingestuft zu werden – insbesondere wenn sie nicht den Phasenmodellen entsprechen. Dies kann dazu führen, dass du dich isoliert fühlst oder das Gefühl hast, deine Emotionen verstecken zu müssen.

Trauer ist individuell – kein Mensch trauert gleich

Statt dich an festen Phasen zu orientieren, kann es hilfreicher sein, deine Gefühle als Teil eines dynamischen Prozesses ohne festgelegte Reihenfolge oder Zeitrahmen zu sehen. Es gibt kein „richtig“ oder „falsch“ im Umgang mit deiner Trauer. Sie ist kein linearer Prozess, sondern individuell total unterschiedlich und oft chaotisch. Erlaube dir selbst zu fühlen, was gerade kommen will, lass die Trauerwellen da sein und sei geduldig mit dir selbst. Jeder Mensch trauert anders und im eigenen Tempo. 

Wie du deinen eigenen Trauerweg finden kannst

Experimentiere mit verschiedenen Methoden mit deiner Trauer umzugehen – sei es durch Schreiben, Reden, Rituale, kreative Ausdrucksformen und/ oder körperliche Bewegung. Trauer bedeutet, dass du dich selbst ein Stück weit neu kennenlernst. Probiere aus, was für dich passt und dir gut tut. Wenn möglich, sprich mit FreundInnen oder Familienmitgliedern über deine Gefühle und ziehe ggfs. professionelle Hilfe in Betracht.

Wenn ich eines durch meinen Verlust und der Arbeit mit Trauernden gelernt habe: Auch wenn wir es uns noch so sehr wünschen, es gibt keine universelle Anleitung für den Umgang mit Verlust und auch keinen ‚richtigen‘ Zeitrahmen für Heilung. Alle unsere Wege sind einzigartig und alles was wir brauchen um den eigenen Weg zu finden haben wir bereits in uns.


🌿 Häufige Fragen zu Trauerphasen

💬 Was sind die 5 Phasen der Trauer?
Das bekannteste Modell nach Elisabeth Kübler-Ross beschreibt die Phasen Schock/Verneinung, Wut, Verhandlung, Depression und Akzeptanz. Es war ursprünglich für sterbenskranke Menschen gedacht, wird aber oft fälschlicherweise auf Trauernde übertragen.


🌊 Helfen Trauerphasen bei der Trauerbewältigung?
Nicht unbedingt. Viele Trauernde erleben ihre Gefühle nicht in festen Phasen, sondern chaotisch und individuell. Das Festhalten an Phasen kann sogar Druck erzeugen, wenn man „nicht so trauert wie erwartet“.


🕊️ Wie kann ich Trauer ohne Phasenmodell verstehen?
Indem du dir erlaubst, deine Gefühle zuzulassen, ohne sie einzuordnen. Trauer ist dynamisch – sie verändert sich ständig. Es hilft, sie zu beobachten statt zu kontrollieren und dir Unterstützung zu holen, wenn du sie brauchst.


Wenn du über deine Trauer sprechen möchtest

Als Trauerbegleiterin unterstütze ich dich sehr gerne im Umgang mit deinen schwierigen Gedanken und Gefühlen – schreib mir oder buche dir dein kostenloses Kennenlerngespräch.

Sei gut zu dir, besonders wenns schwer ist. ❤️

Quellen:
George A. Bonanno (2019): ‚The Other Side of Sadness: What the New Science of Bereavement Tells Us About Life After Loss
Stroebe/ Schut/ Börner (2017): Cautioning Health-Care Professionals: Bereaved Persons Are Misguided Through the Stages of Grief

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